Ist das Coronavirus ein Fall höherer Gewalt?

Spätestens seit Inkrafttreten des Ministeriellen Erlasses vom 18. März 2020 zur Festlegung von Dringlichkeitsmaßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus COVID-19 wird auch in Belgien das alltägliche Leben durch das Coronavirus massiv beeinträchtigt.

Doch was sind die Auswirkungen auf ein bestehendes Vertragsverhältnis?

 

Auswirkungen auf den Arbeitsvertrag

Zahlreiche Arbeitnehmer können in Folge der aufgrund der Pandemie getroffenen Maßnahmen nicht wie gewohnt ihrer Arbeit nachgehen, sei es da der Betrieb seine Aktivitäten einstellen oder einschränken musste oder der Arbeitnehmer sich gar in Quarantäne befindet. In diesen Fällen ist der Arbeitnehmer somit faktisch und vorübergehend arbeitslos.

Doch wird diese zeitweilige Arbeitslosigkeit auch anerkannt, bzw. kann der Arbeitgeber sich auf das Coronavirus berufen, um aufgrund eines Produktionsstillstands oder einer (teilweisen) Schließung des Betriebs Arbeitslosigkeit für seinen Arbeitnehmer anzumelden?

In diesem Zusammenhang gilt es zuallererst zu erwähnen, dass in Belgien prinzipiell zwischen zwei Hypothesen zeitweiliger Arbeitslosigkeit unterschieden wird:

  • zeitweilige Arbeitslosigkeit aufgrund wirtschaftlicher Gründe,
  • zeitweilige Arbeitslosigkeit aufgrund höherer Gewalt.

Höhere Gewalt setzt dabei ein plötzliches, unvorhersehbares Ereignis voraus, das unabhängig vom Willen der Parteien auftritt und die Ausführung des Vertrages vorübergehend und vollständig unmöglich macht.

Vor diesem Hintergrund akzeptiert das Landesamt für Arbeitsbeschaffung (LfA) seit dem 13. März 2020 eine flexible Anwendung des Konzepts höher Gewalt, so dass alle mit dem Coronavirus in Verbindung stehenden Situationen vorübergehender Arbeitslosigkeit als zeitweilige Arbeitslosigkeit aufgrund höherer Gewalt angesehen werden, sogar dann, wenn es an bestimmten Tagen theoretisch möglich wäre zu arbeiten.

Dabei ist es nicht zwingend erforderlich, dass der betreffende Betrieb seine Aktivität vollständig eingestellt hat. Mit anderen Worten ist es durchaus möglich, dass einige Angestellte oder Arbeiter sich in zeitweiliger Arbeitslosigkeit befinden, wohingegen andere wie gewohnt arbeiten.

Ebenso ist es möglich, dass auf Tage der Arbeitslosigkeit normale Arbeitstage folgen und umgekehrt. Allerdings muss eine Arbeitslosigkeit immer einen ganzen Tag betreffen. Am Morgen in zeitweiliger Arbeitslosigkeit sein und nachmittags arbeiten ist somit nicht möglich.

 

Auswirkungen im allgemeinen Vertragsrecht

Abseits der Arbeitsverträge sind die Auswirkungen der Coronavirus Pandemie auf Vertragsverhältnisse wesentlich ungewisser.

Klar ist allerdings, dass die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen durch das Coronavirus und die damit verbundenen Maßnahmen in vielen Fällen auf eine harte Probe gestellt werden, beispielsweise aufgrund von Lieferproblemen gewisser Grund- und Rohstoffe, oder vorübergehenden Geschäftsschließungen.

Doch inwieweit sind die Vertragsparteien berechtigt, die Ausführung des Vertrages oder einzelner vertraglicher Verpflichtungen wegen des Coronavirus auszusetzen oder den Vertrag zu kündigen? Kann die Pandemie einen Fall höherer Gewalt darstellen?

In der Tat kann im Vertragsrecht ein Fall höherer Gewalt die Aussetzung einer vertraglichen Verpflichtung oder die Auflösung des Vertrages rechtfertigen, je nachdem ob das Ereignis, was die Ausführung des Vertrages oder einer vertraglichen Verpflichtung verhindert, vorübergehend oder endgültig ist.

Damit ein Ereignis als ein Fall höherer Gewalt qualifiziert werden kann, muss es auch hier unabhängig vom Willen der Parteien auftreten, unabwendbar und unvorhersehbar sein.

Während die ersten beiden Bedingungen in vielen Fällen leicht zu belegen sein sollten, muss sich im Hinblick auf die Erfüllung der letzten Bedingung die Frage gestellt werden, ob die Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits Kenntnis des Coronavirus hatten.

Ab wann von einer Kenntnis ausgegangen werden muss, ob ab dem Zeitpunkt, wo das Virus in China auftrat (Dezember 2019), ab der Verbreitung in Europa oder ab Inkrafttreten des Ministeriellen Erlasses vom 18. März 2020 wird eine Ermessensentscheidung der Gerichte bleiben.

Ob die Bedingungen der höheren Gewalt erfüllt sind, wird somit von Fall zu Fall neu bewertet werden müssen.

Auch aufgrund des Ausmaßes, das die Pandemie bereits jetzt schon angenommen hat, ist unserer Auffassung nach jedoch davon auszugehen, dass die Gerichte die Erfüllung der Bedingungen der höheren Gewalt im Allgemeinen relativ großzügig anerkennen werden.

Diesbezüglich bleiben jedoch erste Urteile abzuwarten.

Abschließend ist zu beachten, dass einige Verträge ausdrücklich bestimmen, welche Hypothesen als höhere Gewalt anzusehen sind (wie beispielsweise eine Epidemie) und welche Konsequenzen dieser Fall hat. So kann beispielsweise vorgesehen werden, dass Vertragsbedingungen im Fall von höherer Gewalt neu verhandelt werden können, ohne, dass eine Auflösung der Vereinbarung notwendig wird.

Aus diesem Grund und um den vertraglichen Verpflichtungen eine höhere Flexibilität zu verleihen, ist es immer ratsam, dem Fall höherer Gewalt bereits bei Vertragsabschluss vorzubeugen.

 

Quellen:

  • Ministerieller Erlass vom 18. März 2020 zur Festlegung von Dringlichkeitsmaßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus COVID-19, S. 18.03.2020, S. 16037
  • LIBERT J.-F. et PHILIPPE D., « Le coronavirus constitue-t-il un cas de force majeure », in site de la Chambre de commerce & Union des Entreprises de Bruxelles, 14.03.2020 [online], https://www.beci.be/, consultiert am 23.03.2020.
  • Fiche info « Chômage temporaire – Covid 19 (Coronavirus) », in Webseite des LfA, 21.03.2020 [online], https://www.lfa.be/de, consultiert am 23.03.2020.

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